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Mulo Francel: Das wilde Kraut am Wegesrand

MAGAZIN

Am Anfang unseres Jubiläumsmagazins ist Holz-Leute zu Gast bei unserem Freund Mulo Francel. Mit der Münchner Band Quadro Nuevo ist der Musiker in der ganzen Welt unterwegs. Daheim mag es der Saxophonist gerne naturbelassen und schlicht: akustische Klänge, Kräuter aus dem Wald, Küchenutensilien aus Kirsche, Nußbaum und Eiche. Und sein Haus? Ist natürlich auch aus Holz.

Für seine Freunde hat Mulo Francel oft nicht so viel Luft wie ihm lieb wäre. Der Saxophonist und seine Band Quadro Nuevo sind gefragt. Wenn der Musiker schließlich doch mal Zeit für Gäste hat, kocht er am liebsten mit Wildkräutern. Eigenhändig gesammelt, versteht sich.

Gar nicht so einfach, dieser Erfolg. Bei Musikern geht er fast zwangsläufig mit ungesundem Leben einher. Ständig auf der Straße, wenig Schlaf, Junk Food. Zumindest letzteres wollte die Akustik-Band Quadro Nuevo nicht mehr in Kauf nehmen. Seit einigen Jahren lassen sich die Münchner deshalb eine Verköstigung mit Bio-Kost in den Vertrag schreiben. »Unsere Umwelt und Ernährung sind uns ein Anliegen«, sagt Saxophonist Mulo Francel: »Und seit wir Kinder haben, fragen wir uns natürlich noch bewußter, welche Lebensweise wir ihnen weitergeben wollen«.

"Wir sind so abhängig von den Supermärkten und der Lebensmittelindustrie"

Wir treffen Mulo an einem seiner wenigen konzertfreien Tage zuhause in Baierbrunn im Isartal. Nicht die Musik soll heute das Hauptthema sein, sondern gesundes Essen. Mulo Francel hat zehn Freunde eingeladen. Verwöhnen will er sie mit Wildkräutern aus dem heimischen Wald. Selbstgepflückt. Regionaler geht nicht. »Die haben zigmal mehr Vitamine als der Salat aus dem Einkaufszentrum«. Also spaziert er erst einmal in den nahegelegenen Wald. In den Händen zwei Körbe und etliche Stofftaschen.

Mulo Francel kochtDunkle Wolken ballen sich über den Bäumen zusammen. Traktoren fahren hektisch über die Felder. Schnell, schnell, ehe das Gewitter kommt. Mulo bleibt ganz entspannt. Er genießt die archaische Tätigkeit des Sammelns. Freut sich über den Artenreichtum auf den Lichtungen.

»Wir sind so abhängig von den Supermärkten und der Lebensmittelindustrie«, sagt der Musiker, während er Giersch am Wegesrand zupft. »Dabei ist es so einfach, raus zu gehen und Pflanzen zu ernten«. Seit drei Jahren ergänzt der Musiker seine Ernährung mit Selbstgesuchtem: Brennnesseln, Babyschafgarbe, Brunnenkresse, Spitzwegerich. »Die Pflanzen wachsen hier für jeden. Jeder kann in den Wald oder auf die Wiese gehen.«

Schon als Bub pirschte Mulo durch die Wälder. Aufgewachsen ist der Sohn einer Dorfschullehrerin am Simsee im Chiemgau. »Ich hab meine ganze Kindheit draußen verbracht «, erzählt er. Erst spät, mit 12 Jahren hat er angefangen, Musik zu machen. Zunächst Gitarre, dann Saxophon. Vieles hat er sich damals von den Platten aus der Jazz-Sammlung seines früh verstorbenen Vaters abgehört.

Und so kommt der Jazzman zwischen Wiesenbärenklau und wildem Meerettich doch noch auf die Musik zu sprechen: »Bei meinem allerersten Auftritt bin ich in meiner Jeansjacke ganz lässig auf die Bühne gesprungen und gestürzt. Dabei wurde mein Saxophon übel zerquetscht. Ich konnte eigentlich nur noch einen Ton richtig spielen und den hab ich so intensiv gehupt, dass mich in der Pause ein paar junge Burschen fragten, ob ich bei denen in der Band mitspielen würde.« Einer dieser Jungs war der Bassist D.D. Lowka, mit dem Mulo Francel seit 32 Jahren Musik macht.
An 180 bis 200 Tagen im Jahr steht Mulo Francel auf der Bühne. Meist mit seiner vielfach preisgekrönten Stammband Quadro Nuevo, aber auch in etlichen anderen Formationen. Bläst sein Saxophon mal in Würzburg, mal in Montreux oder Volterra. Abend für Abend dieser warme, sinnliche Ton, für den er bekannt ist. Ein bayerischer Stan Getz. Einer, der sich für Bossa Nova, Tango und Swing begeistert, Pariser Valse-Musette, neopolitanische Tarantellas oder orientalische Musik. Einer auch, der furchtlos in der großen Rumpelkammer der Traditionen wühlt und alle paar Monate mit neuen Funden auftaucht. Begeisterungsfähig und neugierig.

»Und dann läuft Dir ein Ägypter über den Weg«, erzählt Mulo beim Kräuterschneiden, »und läd dich ein, mit ihm zu spielen.« Nicht irgendwo, sollte das gemeinsame Konzert mit Basem Darwischs Band Cairo Steps stattfinden, sondern in der Frankfurter Oper. Mit arabischer Oud, Nay-Flöte und orientalischen Trommeln. Wer könnte da schon widerstehen? Die vier Musiker von Quadro Nuevo jedenfalls nicht.
Jetzt muß erstmal die Masse für die Pflanzerl zubereitet werden. Mulos Hände tauchen in eine große Schüssel und vermischen die zerstampften Kartoffeln mit dem Grünzeug. Das Kneten macht ihm sichtlich Spaß. Die fertigen Teiglinge setzt er vorsichtig auf ein Holzbrett. Noch ein bisschen Salz und Pfeffer.

»Und so kommen alle paar Jahre neue Klangfarben hinzu«, fährt er mit seiner Erzählung fort, die Finger voller Teig. »Unser Repertoire verändert sich.« Ein schillernder Teppich mit Mustern aus verschiedensten Kulturen entsteht. »Wir haben aber nie den Anspruch authentisch zu sein«, sagt Francel. »Wir sind eben keine Neapolitaner oder Argentinier.« Mulo Francel hat ein Faible für die Kaffeehäuser, Swing-Clubs und die Pflastersteine italienischer Plätze. »Es geht nicht nur um die Musik, sondern auch um ein bestimmtes Lebensgefühl.« Inzwischen zischt das Fett in den Pfannen. Ganze Berge von Kräuterpflanzerln bereitet Mulo zu. Völlig entspannt und ausgeglichen wirkt er, während die ersten Gäste eintreffen. »Setzt Euch hin oder helft mit«, stellt er ihnen frei.
Warum seine Musik stets melodiös und harmonisch klingt? »Häßliches gibt es schon genug«, sagt der Mann in der Schürze und gießt noch etwas Sonnenblumenöl nach. Mulo Francel sieht seine Musik auch als Gegenwelt. Das Publikum soll träumen und Kraft schöpfen können. Klänge als Rückzugssort. »Musik ist Genuß für den Augenblick, und die Energie der Zuhörer spielt dabei eine große Rolle.«

Vielleicht gibt es deshalb nach dem Dessert doch noch ein klitzekleines Konzert. Mulo legt eine alte Platte von Bix Beiderbecke auf. Dickes Vinyl, aufgenommen 1928. Die Nadel knistert in der Rille. Dann greift der Gastgeber zum Instrument, lehnt sich an die Küchenzeile und improvisiert zum Swing aus längst vergangenen Zeiten.

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